1. Was ist Digital Public Health?
Der schnelle Aufstieg und die große Relevanz von „Digital Public Health” basiert auf zwei wesentlichen Faktoren:
Zum einen wird das Gesundheitswesen im Schnitt immer teurer. So lag der Anteil der deutschen Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt 2019 mit über 400 Milliarden Euro bei 11,9 %. Das entspricht immerhin 4 944 Euro pro Einwohner. Und die Ausgaben steigen weiter: 2020 waren es Schätzungen zufolge bereits 425,1 Milliarden Euro [1, 2].
Zum anderen erleben wir einen nie dagewesenen Fortschritt im Bereich der digitalen Technologien: die Speicherung riesiger Datenmengen („Big Data”) und deren Analyse durch KI-gesteuerte Systeme sowie ein unmittelbarer Zugriff und globaler Austausch aller verfügbaren Informationen. Was früher technisch als undenkbar galt, wird heute zur Normalität [3].
So trifft ein beachtlicher Bedarf auf ein enormes Potenzial. Beide Entwicklungen zu verbinden und zum Wohle aller auszuschöpfen, ist zentrale Aufgabe der Digital Public Health [3].
1.1. Definition
Da es sich um ein Forschungsfeld im Aufbruch handelt, gibt es aktuell noch keine einheitliche Definition, auf die sich Experten branchenübergreifend einigen konnten. Immerhin bietet die Fachliteratur zunehmend Definitionsversuche [4]:
So definierte ein Artikel der „Public Health England” Digital Public Health als eine Neudefinition von Public Health, die etablierte Public-Health-Kenntnisse mit neuen digitalen Konzepten und Werkzeugen verbindet [4, 5].
Eine andere Publikation definiert Digital Public Health dagegen weniger als eine eigenständige Disziplin, sondern eher als ein wertvolles „Asset”, das die Public-Health-Gemeinschaft nutzen kann, um ihre Ziele zu erreichen. Zumal das Hauptziel einer verbesserten Gesundheitsversorgung ja auch bei zunehmender Digitalisierung fortbestehen bleibt [4, 6].
Ob Digital Public Health damit mehr als „Weiterentwicklung eines gesamten Fachgebiets” (nämlich Public Health) oder aber lediglich als „weiteres Werkzeug im bewährten Public-Health-Baukausten” gesehen wird, bleibt somit vorerst offen [4].
Dass es selbst zu Public Health als bereits etabliertem Forschungsfeld eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen gibt, macht die Angelegenheit zusätzlich komplex.
1.1.1. Weitere Definitionen: „Health”, „Public Health” und „Digital Health”
Eine simple Definition von „Public Health” wäre beispielsweise [7]:
„Public Health umfasst sämtliche kollektiven Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung.”
Gesundheit wiederum wird laut WHO als „ein Zustand des vollständigen körperlichen,
geistigen und sozialen Wohlbefindens, also nicht nur der Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen” definiert [8, 9].
Für all diese Definitionen ist es gut, sie mit Blick auf „Digital Public Health” im Hinterkopf zu behalten – bauen sie doch entweder aufeinander auf oder stehen zumindest eng in Beziehung [8].
Ähnlich komplex verhält es sich mit dem schon länger etablierten Begriff der „Digital Health”, für den in einer Literaturanalyse aus dem Jahr 2020 immerhin 95 verschiedene Definitionen gefunden wurden [10].
So kann es sich bei „Digital Health” – bezogen aufs Gesundheitswesen – um eine Technologie, eine Nutzererfahrung, eine Dienstleistung, ein Produkt, einen Prozess, einen Bestandteil eines größeren Ökosystems oder aber um ein komplett eigenständiges Ökosystem handeln. Immer je nach Definition und Autor [8, 10].
Viele andere Begriffe spielen in diesem Kontext ebenfalls eine Rolle und werden teils überlappend – als vermeintliche Synonyme – genutzt:
2. Public Health: Digitalisierung vs. digitale Transformation
2.1. Unterscheidung zwischen „Digitization”, „Digitalization” und „Digital Transformation”
Auch ist beim Thema „Digital Public Health” wichtig, sich grundsätzlich die Unterschiede zwischen den Begriffen „Digitization”, „Digitalization” und „Digital Transformation” klarzumachen [4].
An dieser Stelle ist es hilfreich, die englischen Begriffe zu verwenden, da im Deutschen sowohl „Digitization” als auch „Digitalization” gerne als Digitalisierung zusammengefasst werden [4].
Grob vereinfacht gesagt, nimmt die Komplexität und Umsetzungstiefe von digitalen Technologien von „Digitization” über „Digitalization” bis hin „Digital Transformation” zu [4].
So handelt es sich bei „Digitization” streng genommen lediglich um ein technisches Verfahren zur Umwandlung vorhandener analoger Aufzeichnungen in digitale Daten. Beim „Digitalisieren” wird also Analoges digital [4].
„Digitalization” – also die eigentliche Digitalisierung – ist dagegen viel umfassender. Sie beinhaltet organisatorische und kulturelle Veränderungen, um Technologien in die Prozesse sämtlicher Dienstleistungen einzubeziehen und zu erhalten [4].
Und nicht zuletzt beschreibt der Begriff „Digitale Transformation” (hier ist auch die deutsche Übersetzung eindeutig) einen vielschichtigen und noch viel komplexeren Prozess, der einen grundsätzlichen Umbruch in der Art, wie Abläufe funktionieren, herbeiführt [4].
Natürlich spielen alle drei Begriffe – „Digitization”, „Digitalization” und „Digital Transformation” – in dem heutigen Zeitalter eine wichtige Rolle (und dies in allen Lebensbereichen). Sie tun dies jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in einem unterschiedlichen Ausmaß und dementsprechend mit einem unterschiedlichen Veränderungspotenzial [4].
Für den Bereich der „Public Health” und damit letztlich der „Digital Public Health” bedeutet dies Folgendes [4]:
2.2. „Digitization” der Public Health
Dementsprechend bedeutet „Digitization” auch für das Feld der Public Health die Umwandlung analog vorliegender Informationen in digitale Formate – also ein rein technisches Verfahren [4].
Beispielsweise kann es sich dabei um die Übertragung von in Papierform vorhandenen Gesundheitsakten hin zu digitalen Gesundheitsakten handeln, welche dann fortan elektronisch genutzt werden können [4]
2.3. „Digitalization” der Public Health
„Digitalization” beschreibt dagegen vielmehr eine umfassende Integration digitaler Technologien in sämtliche Dienstleistungen – so auch im Bereich Public Health [4].
Die Ziele der Public Health – klassischerweise also das Fördern von Gesundheit, Vorbeugen von Krankheiten sowie Verlängern der Lebenserwartung – bleiben dadurch folglich unverändert. Nicht aber der Weg, wie diese Ziele erreicht werden [4].
Schließlich umfasst die „Digitalization” der Public Health die kontinuierliche Einführung und Instandhaltung von digitalen Technologien in Gesundheits-Dienstleistungen [4].
Es ist also nicht bloß ein technisches Verfahren. Es ist das Schaffen einer komplett digitalen Infrastruktur. Es ist aber darüber hinaus auch ein organisatorischer und kultureller Prozess [4].
2.4. „Digital Transformation” der Public Health
Der Begriff „Digital Transformation” ist dagegen auch im Bereich Public Health noch ein ganzes Stück umfassender. Er entspricht einem grundlegenden Wandel in der gesamten Art und Weise der Dienstleistungserbringung [4].
Zudem handelt es sich um einen fortlaufenden Veränderungsprozess (ohne wirklichen Endpunkt), der weit über den Gesundheitssektor hinausgeht und gesellschaftliche Entwicklungen mit einbezieht [4].
Beispielsweise ist die verbreitete Verfügbarkeit von Smartphones nicht spezifisch für den Gesundheitssektor, ändert aber dennoch komplett, was die digitalen Ansatzpunkte in Letzterem sein können [4].
Ein weiteres Beispiel wäre die generell zunehmende Neigung, Lebensstildaten (mittels „Lifestyle-Apps”) zu verfolgen und zu speichern, was letztlich auch für Public-Health-Ansätze völlig neue Möglichkeiten bietet [4].
So entstehen viele Daten, die zwar nicht direkt mit der Gesundheit in Zusammenhang stehen, wohl aber indirekt für ein besseres Verständnis der Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen hilfreich sein können [4].
3. Funktionen von Digital Public Health
Zwar ist Public Health ein weites Forschungsfeld ohne klare Grenzen. Dennoch gibt es bestimmte Fokusthemen. Laut WHO existieren genau genommen zehn Kernbereiche für Public Health – die sogenannten „Essential Public Health Operations” (kurz EPHOs). Diese umfassen [2, 11, 12]:
- Surveillance von Gesundheit und Wohlbefinden der Bevölkerung
- Beobachtung von Gesundheitsgefahren und gesundheitlichen Notlagen und Gegenmaßnahmen
- Gesundheitsschutzmaßnahmen (u.a. in den Bereichen Umwelt-, Arbeits- und Nahrungsmittelsicherheit
- Gesundheitsförderung, einschließlich Maßnahmen in Bezug auf soziale Determinanten und gesundheitliche Maßnahmen
- Krankheitsprävention, einschließlich Früherkennung
- Gewährleistung von Politikgestaltung und Steuerung (Governance) für mehr Gesundheit und Wohlbefinden
- Gewährleistung einer ausreichenden Zahl von fachkundigem Personal im Bereich der öffentlichen Gesundheit
- Gewährleistung von nachhaltigen Organisationsstrukturen und Finanzierung
- Überzeugungsarbeit, Kommunikation und soziale Mobilisation für die Gesundheit
- Förderung der Forschung im Bereich der öffentlichen Gesundheit zwecks Anwendung in Politik und Praxis
Dies verdeutlicht einerseits wie umfassend Public Health ist (selbst wenn man es auf 10 Kernbereiche eingrenzt). Es hilft aber andererseits auch, um sich etwas konkreter klar zu machen, in welchen Bereichen „Digitization”, „Digitalization” und „Digital Transformation” am Ende aus „Public Health” „Digital Public Health” machen können.
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